Was ist Yin Yoga - was sind Faszien?
Nur ein weiterer Trend?
Faszien gibt es schon mindestens so lange, wie es den menschlichen Körper gibt, aber warum wird jetzt so ein Hype darum gemacht? Faszien, das ist das Bindegewebe. Anatomen schnitten es früher weg, um an die wirklich interessanten Dinge heranzukommen (so dachten sie damals): Die Muskeln und Knochen. Erst in letzter Zeit entdeckt man, dass das Bindegewebe nicht nur Füllfunktionen hat und erforscht seine Eigenschaften und Aufgaben näher.
Was sind Faszien?
Bindegewebe durchsetzt den ganzen Körper wie ein umhüllendes und verbindendes Spannungsnetzwerk. Ihr könnt Euch das wie einen Wollpulli unter dem Mikroskop vorstellen, wo ihr einzelne verwebte Fäden erkennen könnt. Oder wie das Weiße in einer Orange - es umgibt das Fruchtfleisch, unterteilt es und gibt der Orange auch ihre Form. Vereinfacht gesagt haben wir drei Schichten Faszien: Die oberflächlichen Faszien befinden sich im Unterhautgewebe in den meisten Körperteilen und vermischen sich mit der Lederhaut (Dermis). Die tiefen Faszien haben einen hohen Kollagenanteil und dadurch eine hohe viskoelastische Zugbelastbarkeit. Sie durchdringen Muskeln, Knochen, Nervenbahnen und Blutgefäße des Körpers. Zu den tiefen Faszien gehören u.a. die großen flächigen Faszien (z.B. die Plantarfaszie unter der Fußsohle), die Bänder, Gelenkkapseln, Sehnenplatten (Aponeurosen), Fesseln (an den Füßen) und verschiedene Bindegewebe, die Muskelfasern, Muskelfaserbündel und ganze Muskeln umhüllen. Die dritte Faszienschicht, das sind die viszeralen Faszien: Sie dienen unseren inneren Organen als Aufhängung und Einbettung. Auch Knochen und Knorpel werden zum Bindegewebe gezählt. Faszien leiten Lymphe und sind mit Nervenenden und Nervenrezeptoren durchsetzt, d.h. sie können Informationen über die Spannung, die Lage, den Druck, die Bewegung und auch über Schmerzen an unser Gehirn und unser vegetatives Nervensystem leiten. Man könnte die Faszien also auch als Sinnesorgan bezeichnen. Faszien können Rückenschmerzen etc. verursachen.
Höchstwahrscheinlich fügen sich die Faszien zu myofaszialen Leitbahnen, d.h. Muskelfaszienketten zusammen. Das wird gerade noch näher erforscht. Eine solche Leitbahn verläuft z.B. von der Plantarfaszie unter der Fußsohle über die Beinrückseiten, den Rücken, Nacken und Hinterkopf entlang über die Stirn bis zu den Augenbrauen. Wenn ich meine Fußsohlen mit einem Tennisball ausrolle, sind danach meine Beinrückseiten und mein Rücken dehnbarer. Das bedeutet auch, dass ich einem Rückenschmerz in der Lendenwirbelsäule ganz unterschiedliche potentielle Ursachen an unterschiedlichen Stellen im Körper zuordnen kann. Gute Manualtherapeuten wussten das schon immer.
Was bringt Faszienyoga?
Ungefähr ab dem 30. Lebensjahr und natürlich auch bei mangelnder Bewegung beginnen die Faszien an Elastizität zu verlieren. Sie verfilzen regelrecht, wie ein Wollpulli, den man zu heiß gewaschen hat. Regelmäßiges Training der Faszien (z.B. durch Dehnen) scheint die Querverstrebungen zu beschränken und Starrheit, Steifheit entgegenzuwirken. Die Kollagenfasern unseres Bindewegewebes stehen dann aufrecht und gerade und richten sich in die sinnvolle(n) Zugrichtung(en) aus. Werden die Fasern älter, verkürzen sie sich und ihre Struktur verläuft durcheinander in verschiedene Richtungen. Die verfilzten Faszien ziehen im schlimmsten Fall Muskeln und Knochen näher zueinander und schränken so unsere Beweglichkeit ein. Faszienyoga, Massage, Osteopathie, Rolfing etc. können diesem Prozess entgegen wirken.
Wer hat Yin Yoga erfunden?
Yin Yoga gab es schon vor dem Hype um Faszien und Faszientraining. Jede Asana (Yogaübung), die länger gehalten wird (mindestens drei, besser fünf oder noch mehr Minuten) wirkt sich auch entsprechend positiv auf das Bindegewebe aus. Aber das Yin Yoga, wie wir es heute praktizieren und genießen dürfen, wurde von Paulie Zink in den 70er Jahren in den USA entwickelt. Er praktizierte seit seinem 14. Lebensjahr Yoga und war ein großer Kung-Fu-Meister, der als Automechaniker in einem kleinen Schuppen in Montana arbeitete. Dort unterrichtete er auch Taoistisches Yoga (Yin & Yang Yoga). Schaut Euch mal Fotos von ihm über die Bildersuche an - er ist - trotz seines Geschlechts und Alters - heute noch extrem beweglich.
Die Yin und Yang Philosophie kommt aus China, lehnt sich an den Taoismus an und beschreibt zwei Pole (eben Yin und Yang), die relativ sind, aufeinander bezogen, ineinander enthalten und sich entweder im Gleichgewicht oder im Ungleichgewicht befinden. Yin werden dabei Eigenschaften wie weiblich, passiv, empfangend, Innen und Kälte zugeschrieben; Yang steht für das männliche, aktive, gebende Prinzip, für das Außen und für Hitze. Ihr seht schon, unsere Welt ist relativ Yang-lastig. Da kann Yin Yoga als Ausgleich sehr gut tun, z.B. in stressigen Zeiten. Yoga ist erreicht, wann immer ein Ausgleich da ist, wann immer die beiden Pole sich (wenigstens für einen kurzen Augenblick ;-) im Gleichgewicht befinden.
Was ist Yin Yoga?
Yin Yoga ist ein passiver Yogastil in dem die einzelnen Asanas (Übungen) relativ lange gehalten werden (ca. fünf Minuten). Durch das Verweilen in den Yin Stellungen wird die tiefe Schicht des Bindegewebes angesprochen. Muskelkraft wird dabei möglichst so gut wie gar nicht eingesetzt, wir wollen uns hingeben. Wir wärmen uns vor dem Yin Yoga auch nicht auf. Die meisten Positionen sind im Sitzen oder Liegen und wirken besonders auf die Hüften, die Beine, den unteren Rücken, die Wirbelsäule und die inneren Organe. Die beste Zeit, um Yin Yoga zu praktizieren ist frühmorgens oder spätabends, wenn die Muskeln kalt sind, in jedem Fall aber vor einer aktiven Yang Praxis. Und natürlich immer dann, wenn wir einen Ausgleich zu unserem stressigen Yang Leben benötigen.
Im Yin Yoga kreieren wir uns einen Raum, in dem wir uns selbst näherkommen, und dadurch klärt sich unser Bewusstsein. Die Haltungen wirken sehr tief nach innen - sowohl auf körperlicher als auch auf energetischer Ebene.
Christine Ranzinger, Yin Yoga, Irisiana Verlag München, 1. Auflage 2014