Ethik in der Yogaphilosophie I - Yamas
Regeln im Umgang mit anderen
Die Yamas (Regeln im Umgang mit anderen) und Niyamas (Regeln im Umgang mit sich selbst) stammen aus einer über 2000 Jahre alten Schrift der Yogaphilosphie, dem Yoga Sutra des Patanjali. Und doch haben sie nichts an Aktualität eingebüßt; noch immer werden sie von fortgeschrittenen Yogis beachtet, zitiert und diskutiert.
Heute geht es erst einmal um die fünf Yamas, d.h. darum, wie wir in Beziehung zu anderen Menschen treten - und zwar nicht nur zu unseren Freunden und unserer Familie, sondern letztlich zur gesamten Weltgemeinschaft.
Ahimsa
Ahimsa heißt Gewaltlosigkeit, nicht verletzen und ist ein Grund dafür, warum Yogis vegetarisch oder vegan leben: Wir möchten keinem anderen Lebewesen Leid zufügen. Aber natürlich habe ich meinen Auftrag, Ahimsa zu leben, nicht allein damit erledigt, kein Fleisch zu verzehren und meine Mitmenschen nicht zu verprügeln. Ahimsa lebe ich auch in der Kommunikation mit anderen und letztlich sogar im Denken, denn da fängt Gewalt an: Bei gewaltsamen Gedanken, die später dann zu Worten bzw. Taten werden können. In der Meditation beobachten Anfänger oft zum ersten Mal, wie schlecht sie in Gedanken mit sich selbst, aber auch mit anderen umgehen. Oft mangelt es uns einfach an Selbstwertgefühl, wenn wir aggressiv werden. Das zu verstehen und in der Meditation zu beobachten ist schon der erste Schritt dahin, es in Zukunft zu unterlassen.
Das Ziel von Ahimsa ist es, Mitgefühl und Fürsorge für andere zu entwickeln - sobald ich mich in die Situation und die Gefühle von anderen hineinversetzen kann, verhalte ich mich wesentlich einfühlsamer und hilfreicher für andere. Das bedeutet aber nicht, dass man nur noch Friedenslieder singt und seine Mitmenschen immer mit Samthandschuhen anfasst. Ich kann meinem Gegenüber auch rücksichtsvoll und doch sehr bestimmt die Meinung sagen oder mein Kind vor eine schwierige und herausfordernde Aufgabe stellen, damit es wachsen kann.
In den Yogastunden bedeutet Ahimsa für mich schlicht und einfach, keinen falschen Ehrgeiz zu entwickeln: Ich erkenne meine körperlichen Grenzen an, ich achte sie. Yoga ist kein Leistungssport.
Satya
Satya heißt Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit in Wort und Tat. Ehrlich zu sein setzt natürlich auch Selbsterkenntnis voraus, die ich wiederum durch Nachdenken, Beobachtung und Meditation erlange. Dadurch werde ich erst einmal ehrlich mir selbst gegenüber, kann beobachten und anerkennen, was in mir ist. Im nächsten Schritt kann ich mich dann auch aufrichtig anderen gegenüber verhalten. Ich belüge andere nicht; ich versuche aber auch nicht, andere zu manipulieren.
Satya halte ich persönlich für sehr wichtig in menschlichen Beziehungen - Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit machen mich erst zu einem verlässlichen Partner und natürlich auch zu einem verlässlichen Yogalehrer. Die Grenzen von Satya werden durch Ahimsa gesetzt: Wenn ich zu ehrlich bin, kann ich andere dadurch verletzten. Das soll nicht heißen, dass ich nicht ehrlich sein darf. Aber ich sollte meine Aufrichtigkeit mit Achtsamkeit leben - es gibt ja auch eine diplomatische und freundliche Form der Ehrlichkeit.
In den Yogastunden bedeutet Satya für mich: Ich erkenne an, was mein Körper heute braucht, ich muss keine Asana (Yogahaltung) einnehmen, die supercool aussieht, mir aber gar nicht gut tut.
Asteya
Asteya heißt nicht stehlen, nicht besitzen wollen was anderen gehört. Ich kann meinen Wert als Mensch nicht dadurch steigern, dass ich so teure bzw. teurere Dinge besitze wie meine Mitmenschen oder genauso schlank und hübsch bzw. gar noch schlanker und hübscher als sie bin. Neid bringt mich definitiv nicht weiter. Aufkommende Neidgefühle sollte ich hinterfragen und ergründen - letztlich geht es ja darum, an meinem Leben, an mir selbst zu arbeiten. Oder zu spüren, dass ich so, wie ich jetzt bin, schon vollständig, perfekt und absolut wunderbar bin.
Generell ist es ratsam, die Anzahl seiner Wünsche zu reduzieren, denn dann quälen einen weniger Gedanken und man wird weniger oft in blinden Aktionismus verfallen. Muss ich wirklich auch so ein teures Auto wie mein Nachbar fahren? Werde ich dadurch ein glücklicherer oder besserer Mensch? Oder könnte das nicht einfach auch bedeuten, dass ich dann noch mehr arbeiten muss und weniger Zeit für meine Familie haben werde? Was steht aber hinter diesem Wunsch, das Auto von meinem Nachbarn besitzen zu wollen? Was ist mir wirklich wichtig im Leben? Kann ich es auf anderem Wege erlangen?
Für die Yogastunden finde ich es sehr befreiend, nicht mehr unbedingt so toll aussehen zu müssen wie das Mädel auf der Nachbarmatte. Ich kann einfach bei mir selbst bleiben.
Bramacharia
Bramacharia heißt Enthaltsamkeit, Vermeiden sexuellen Fehlverhaltens. Für Swamis (die Yoga-Mönche und -Nonnen) bedeutet das natürlich Keuschheit. Für uns normalsterbliche Yogis bedeutet es aber ganz einfach, nicht allen Begierden sofort nachzugeben. Ich wende meinen Geist nach innen, ich wende ihn weg von den äußeren Sinnesobjekten, weg von den Ablenkungen und finde dort das Wesentliche, das was mir wirklich wichtig ist im Leben. Auch hier geht es wieder darum, seine Wünsche, sein Verlangen zu reduzieren. Natürlich kann ich trotzdem wunderschönen, erfüllenden Sex mit meinem Partner haben. Aber ich muss nicht jedem, der vorbeiläuft, auf den Hintern starren.
Für mich als Yogaschülerin bedeutet Bramacharia auch, dass der Yogalehrer seine Schülerinnen nicht nach ihrer Attraktivität beurteilt oder sich von einer besonders hübschen Teilnehmerin anziehen lässt. Der Yogalehrer ist eine Vertrauensperson.
Aparigraha
Aparigraha ist die Unbestechlichkeit, das nicht Annehmen von unechten Geschenken, die zu einer Gegenleistung verpflichten. Auch hier ist es wieder hilfreich, seine Wünsche zu verringern. Nur ein bedürftiges Ego ist bestechlich. Letztlich macht micht Aparigraha frei und unabhängig. Nur so kann ich mir selbst und meinen Idealen treu bleiben und sinnvoll und vernünftig handeln. Aparigraha setzt auch wieder eine gewisse Ehrlichkeit mir selbst gegenüber voraus, um überhaupt erst zu bemerken, wo ich mich vielleicht von anderen zu etwas hinreißen lasse, was eigentlich nicht meinen Idealen entspricht.
Als Trainer und Yogalehrer würde ich nichts unterrichten, hinter dem ich nicht stehe, was mir selbst nicht gut tut, nur weil es gerade trendy ist und schnelles Geld verspricht.
Fazit
Die Yamas sind tolle Regeln, die unser Zusammenleben mit anderen schöner und erfüllter machen. Da mein Verhalten auch immer das Verhalten von anderen beeinflusst, mache ich die Welt dadurch ein Stück besser, dass ich nach den Yamas lebe. Es ist ein Schneeballeffekt.
Und was bringen mir selbst die Yamas? Probiert es aus! Nur so viel kann ich Euch schon verraten: Sie bringen Euch hinein in ein Gefühl von innerem Frieden. Und das ist letztlich die Basis für alles andere: Für guten Schlaf, ein Gefühl von Ausgeglichenheit, sich konzentrieren und meditieren können, vielleicht sogar für eine erfülltes Leben. Aber keiner ist perfekt, es ist vollkommen okay, wenn man mal nicht danach gelebt oder gehandelt hat! Gerade das macht uns ja zu Menschen.
Im [nächsten Blogbeitrag] 1 wird es um die Niyamas, die Regeln im Umgang mit sich selbst gehen.